Saz, Semah und Tanz



[Yilmaz Kahraman] In fast allen alevitischen Familien findet man die Saz, eine Langhalslaute mit meist sechs Saiten. Das Wort „Saz“ stammt aus dem Persischen und bedeutete ursprünglich „Instrument“. Da die Langhalslaute in Anatolien das Instrument an sich war, setzte sich hier der Begriff „Saz" durch.


Es gibt sie in verschieden Größen, wobei die gängigsten drei Formen die lange Saz (türk.: Divan Sazı), die klassische mittlere Größe (türk.:Bağlama) und die kurze Form (türk.:Cura) bilden. Die Aleviten drücken sowohl ihre Freuden, als auch ihr Leid durch das Spielen der Saz aus. Es gibt einige Aleviten, die ihr ganzes Leben dem Sazspielen und Singen widmen. Aus diesem Grund werden diese Aşık (Aschik)/ Volkssänger  genannt, was man mit „Verliebter“ übersetzen kann (sie sind verliebt in die Musik, Texte, Literatur). Die Volkssänger werden von allen Aleviten verehrt und geliebt. Neben Liebesgeschichten, Tragödien und der Protestmusik gegen Ungerechtigkeit thematisieren die in Begleitung der Saz gesungenen Texte auch religiöse Inhalte. So ist bei einem alevitischen Gottesdienst (Cem) der Sazspieler ein unverzichtbarer Bestandteil der Zeremonie. Jedes gesungene Lied enthält Botschaften, die der Verfasser des jeweiligen Textes mit einer sprachlichen Schönheit übermittelt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt des Gottesdienstes wird in Begleitung zur Musik der sog. Semah „gegangen“. Aleviten bezeichnen den Semah nicht als Tanz (es dient nicht zum Spaß), sondern als eine Form des Gebetes. Deswegen spricht man vom „Semah gehen“ oder „Semah kreisen“. Semah bedeutet Himmel und bei den Bewegungen des Semah werden Vögel, insbesondere der Kranich nachgeahmt. Man dreht sich nach dem Takt der Saz im Kreis, wie die Planeten um die Sonne. Der kosmische Charakter des Semah symbolisiert nicht nur die Bewegung der Erde, sondern auch die ständige Bewegung der Natur. Einige Semahs werden nach ihrem Herkunftsort bezeichnet (Sivas-Erzincan Semahı, Tokat-Turhal Semahı, Hubyar Semahı, Fetihye Semahı), andere wiederum tragen den Namen alevitischer Heiligtümer oder Persönlichkeiten (Turna Semahı, Yahızır Semahı, Kırklar Semahı, Has Nenni Semahı). So gehören die Musik und der Semah zu den Hauptbestandteilen der alevitischen Lehre.

 

Neben dem Ritual Semah nehmen folkloristische Tänze eine zentrale Rolle für Aleviten ein. Bei allen Feierlichkeiten tanzen Frauen und Männer, alt und jung diese Tänze zusammen zu traditioneller Musik und singen dabei auch gemeinsam - meist stundenlang. Je nach Region unterscheiden sich auch die Tänze. In sehr vielen Gegenden werden bei Tänzen aus dem alltäglichen Leben Bewegungen eingebaut, wie z.B. das Säen und Ernten des Feldes. Bei anderen Tänzen gibt es Themen aus der Tierwelt oder zwischenmenschlichen Beziehungen. Bei diesen folkloristischen Tänzen werden die Gefühle des Volkes und der Gemeinschaft wiedergegeben. Die alevitische Lehre wünscht sich ein Miteinander unter Menschen und kein Nebeneinander. Denn wie an den oben genannten Beispielen zu sehen ist (es sind nur wenige von vielen anderen), sind es Riten, die nicht für ein einzelnes Individuum geeignet sind, sondern für eine Gruppe, eine Gesellschaft. Hierbei ist zu betonen, dass bei religiösen Zeremonien und anderen Festen auch Gäste teilnehmen können und herzlich willkommen sind. „ Der Gast ist erhaben“ (Mihman alidir)- ein Leitsatz für alle Aleviten.